«Er machte Zugeständnisse» – wie sich die Zürcher Strafverfolger mit Unternehmer Remo Stoffel auf einen Deal geeinigt haben

Die Strafuntersuchung um den Kauf der Immobilienfirma Avireal hat für den umtriebigen Unternehmer Remo Stoffel mit einem milden Urteil geendet. Noch im Frühling sah es ganz anders aus.

Fabian Baumgartner
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Immobilieninvestor Remo Stoffel: hoch hinaus, aber nicht immer gesetzeskonform.

Immobilieninvestor Remo Stoffel: hoch hinaus, aber nicht immer gesetzeskonform.

Goran Basic / NZZ

Der Deal befördert Remo Stoffel mit einem Schlag in die Elite der Schweizer Wirtschaft. Zusammen mit zwei Geschäftspartnern übernimmt der erst gerade 28-jährig gewordene Unternehmer am 28. April 2005 die Immobilienfirma Avireal aus der Konkursmasse der untergegangenen Swissair. Für den ehrgeizigen Stoffel ist es ein Husarenstück, das ihn vom Nobody zum schweizweit bekannten Financier macht. Doch Stoffels Aufstieg ist begleitet von Nebengeräuschen.

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Mit seinem damaligen Geschäftspartner überwirft sich der Unternehmer, es folgt ein erbitterter Rechtsstreit. Und seit letzter Woche ist klar: Im Zuge der Übernahme der Firma kam es zu strafbaren Handlungen. In einer Mitteilung verkündet die Zürcher Oberstaatsanwaltschaft, dass sie Stoffel durch Erlassung eines Strafbefehls zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 180 Tagen und einer Busse von 10 000 Franken verurteilt habe. Es geht dabei um inkorrekte Bilanzen und Mittelnachweise sowie um fehlende Belege im Zuge der komplexen Transaktion.

Dass die fast vier Jahre dauernden Ermittlungen mit einem Strafbefehl enden, ahnte im Frühling noch niemand. In einem Schreiben vom 20. März 2020 kündigte die Staatsanwaltschaft dem Immobilieninvestor an, die Untersuchung abzuschliessen und Anklage gegen ihn zu erheben.

«Kein Mehr an Strafe zu erwarten»

Dies geht aus der Mitte Juli ausgestellten Einstellungsverfügung der auf Wirtschaftsdelikte spezialisierten Zürcher Staatsanwaltschaft III hervor, in welche die NZZ Einsicht genommen hat. Stoffel, der seinen Wohnsitz im letzten Jahr nach Dubai in die Vereinigten Arabischen Emirate verlegt hatte, hätte sich vor Gericht verantworten müssen.

Doch es kommt anders: Ende Mai stellt Stoffel einen Antrag auf ein abgekürztes Verfahren. Ein solches ist nur dann möglich, wenn eine beschuldigte Person einen Sachverhalt anerkennt. Stoffel ist also bereit, einen Teil der Vorwürfe zu akzeptieren. Ein Gericht hätte dann im Rahmen der Hauptverhandlung lediglich noch die Rechtmässigkeit des abgekürzten Verfahrens, die Übereinstimmung der Anklageschrift mit den Akten und den Aussagen der beschuldigten Person sowie die Angemessenheit der Sanktionen überprüft. Es kam jedoch noch besser für Stoffel: Der Strafbefehl erspart dem heute 43-Jährigen nun sogar den Gang vor Gericht.

In der achtseitigen Einstellungsverfügung schreibt der zuständige Staatsanwalt Peter Giger: «Im Zuge des abgekürzten Verfahrens, das nicht zu Ende geführt werden musste, machte Remo Stoffel Zugeständnisse.» Der Unternehmer habe gerade jene Vorwürfe anerkannt, die bereits im Herbst verjährt gewesen wären. Selbst bei einem Schuldspruch durch ein Gericht wäre nach Ansicht des Staatsanwalts die Strafe nicht wesentlich höher ausgefallen. «Insgesamt ist der Fall sehr alt.»

Wörtlich heisst es in der Einstellungsverfügung weiter: «Wird der Fall im abgekürzten oder ordentlichen Verfahren geführt, mögen vielleicht nicht anerkannte, etwas jüngere Sachverhalte zur Verurteilung gelangen, ältere können aber auch verjähren, wobei insgesamt kein Mehr an Strafe zu erwarten ist.»

In einer Stellungnahme schreibt Stoffels PR-Berater, der ehemalige Chefredaktor des «Tages-Anzeigers» Peter Hartmeier, der Wille zum Abschluss habe für den 43-Jährigen aus Rücksicht auf Geschäftspartner, Mitarbeiter und Familie im Vordergrund gestanden. Zwecks Erledigung des Verfahrens übernehme er als Mitglied des Verwaltungsrats der betroffenen Gesellschaften die Verantwortung. Dies, obwohl ihn ein amtliches Gutachten entlastet habe. Zudem hält Hartmeier fest: «Es gab zu keinem Zeitpunkt Geschädigte.»

Umtriebig und umstritten

Stoffel gilt als ebenso umtriebiger wie umstrittener Geschäftsmann. Als «Honigverkäufer» betitelte ihn die «NZZ am Sonntag» einmal, weil er während seiner Lehre zum Bankkaufmann seinen Vorgesetzten bei der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG), der späteren UBS, Honig aus seiner Heimat Vals verkauft hatte. Das Blatt zitierte einen SBG-Angestellten, der sagte: «Stoffel handelte wie die Anlageberater der Bank, einfach mit Honig.»

Zu Vermögen gelangte er mit Finanz-, Immobilien- und Versicherungsgeschäften, unter anderem über Firmen in Zug und Liechtenstein. Für Aufsehen sorgte Stoffel aber vor allem mit dem Projekt, in Vals einen 381 Meter hohen Turm zu erstellen. Der Wolkenkratzer mit dem Namen «Femme de Vals» wäre das höchste Gebäude Europas. Der Plan liess die Wogen hochgehen, Gegner werfen Stoffel Gigantismus vor.

Der Strafbefehl der Zürcher Staatsanwaltschaft ist die zweite Verurteilung für den Unternehmer. Im Sommer 2014 war Stoffel vom Kantonsgericht Graubünden wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung verurteilt worden. Damals ging es um die Konkurse eines Cafés und einer Backwaren-Firma in Pontresina.

Die Untersuchung im Fall Avireal ins Rollen brachten jahrelange umfassende Untersuchungen der Eidgenössischen Steuerverwaltung. Aufgrund ihres Schlussberichts aus dem Jahr 2014 zeigte das Steueramt des Kantons Zürich Stoffel im Oktober 2016 an. Die Zürcher Staatsanwaltschaft eröffnete schliesslich ein Strafverfahren gegen den Unternehmer und zwei in den Kauf involvierte Personen wegen Verdachts auf Steuerbetrug und Urkundenfälschung.

Knapp zwei Jahre nach dem Eingang der Anzeige kommt es am 22. August 2018 zur ersten von rund 40 Einvernahmen. Am Ende umfassen allein Akten zu den Einvernahmen rund 4000 A4-Seiten, rund 1600 Fragen stellt die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten. Im August 2019 nimmt die Polizei Stoffel fest. Vier Tage sitzt der Unternehmer in Untersuchungshaft.

Ob Zufall oder nicht – rund einen Monat vor der Festnahme war bekanntgeworden, dass Stoffel mit seiner Familie in die Vereinigten Arabischen Emirate auswandert. Einen Zusammenhang mit dem Strafverfahren der Zürcher Behörden verneinte er gegenüber der «NZZ am Sonntag». Es sei eine rein familiäre Entscheidung.

Einigung mit dem Steueramt

Mit Abschluss des Verfahrens ist von den Steuerbetrugsvorwürfen nichts mehr übrig geblieben. Ausschlaggebend dafür sind ein entlastendes amtliches Gutachten sowie der Umstand, dass das Zürcher Steueramt auf die Steuerhinterziehungsverfahren für die Jahre 2005 bis 2010 verzichtet hat. Für die Transaktion vom 28. April 2005 leistete der Unternehmer «substanzielle Steuernachzahlungen». Eine Kaution von 20 Millionen Franken ging direkt von den Straf- an die Steuerbehörden. In einer Mitteilung schreibt die Finanzdirektion des Kantons Zürich, man nehme Notiz davon, dass der Steuerpflichtige der öffentlichen Hand die gesetzlich geschuldeten Steuern bezahle.

Im Strafbefehl, datiert auf den 17. Juli 2020, ist schliesslich noch von mehrfacher Urkundenfälschung und mehrfacher Unterdrückung von Urkunden die Rede. Die Staatsanwaltschaft kommt darin zum Schluss, dass die Zwischenbilanz der Avireal AG vom 30. Juni 2005 sowie eine im Jahr 2009 verwendete Bankbestätigung nicht korrekt waren.

Konkret ging es um Folgendes: Noch am Tag des Kaufs der Avireal veräusserte diese den grössten Teil ihrer Immobilien an die Winsto AG, die ebenfalls in Stoffels Besitz war. Die Winsto AG wiederum hatte drei Tage vor der Transaktion mit der Zürcher Kantonalbank am 25. April 2005 einen Kreditvertrag geschlossen. Darin war vorgesehen, dass die Bank der Winsto einen Kredit von 190 Millionen Franken gewähren würde, einer der Investoren hätte zudem rund 171 Millionen Franken als nachrangiges Darlehen gewährt. Doch der Kreditvertrag wurde nicht so umgesetzt wie vorgesehen.

Um die Gesamttransaktion zu retten, kam es zu den strafrechtlich relevanten Handlungen. In der Zwischenbilanz der Avireal etwas mehr als zwei Monate später wurden nämlich flüssige Mittel in der Höhe von über 188 Millionen Franken ausgewiesen. Tatsächlich vorhanden waren jedoch lediglich 380 000 Franken.

In einem anderen Fall ging es um einen Mittelnachweis aus dem Jahr 2008. Ein mit einem Briefkopf und Unterschriften der VP-Bank in Liechtenstein versehenes Schreiben mit dem Betreff «Mittelnachweis» bestätigte per 31. Dezember 2007 das Vorhandensein von mehr als 208 Millionen Franken auf einem Klientenkonto von Stoffels Treuhänder. Laut Strafbefehl wurde das Dokument mit abgedeckter Adresse und Anrede von einer unbekannten Täterschaft schliesslich verwendet als Nachweis der Werthaltigkeit der Escrow-Forderung der Avireal gegenüber dem Treuhänder. Stoffel hatte laut Strafbefehl gewusst, dass es kein solches Konto des Treuhänders gegenüber einer Bank mit einem solchen Guthaben gegeben hatte.

Für die Staatsanwaltschaft wiegt das Verschulden Stoffels nicht leicht, wie es im Strafbefehl heisst. «Es wurden wiederholt Urkunden des kaufmännischen Verkehrs gefälscht oder gefälschte Urkunden des kaufmännischen Verkehrs verwendet, wobei die Fälschungen sehr grosse Beträge betrafen.» Andererseits stünden die vorgeworfenen Taten kurz vor der Verjährung – und «gleichwohl ist Remo Stoffel geständig». Für Staatsanwalt Giger Grund genug, es bei einem Strafbefehl bewenden zu lassen.